Historische Meilensteine der 

Psychotherapiegeschichte in Deutschland

Persönliche Erinnerungen an einen langen Weg

von Lotte Hartmann-Kottek

1967: Nachdem den Krankenkassen eine Studie von der Psychoanalytikerin, Frau A. Dührssen, vorgelegt worden war, aus der hervorging, dass Patient*innen, die in einer psychoanalytischen Institutsambulanz behandelt worden waren, im Folgejahr signifikant weniger Kosten verursachten (durch Arbeitsunfähigkeit, Klinikaufenthalte oder Medikamente), wird die psychoanalytische Psychotherapie eine Kassenleistung. 

Ab 1970: Die Verbreitung, der Zulauf und die große Begeisterung, die die neuen humanistischen Verfahren mit ihrem emotions-, begegnungs- und körperzentrierten Stil in Deutschland auslösen, relativieren das Ansehen der Psychoanalyse und lassen bei ihren Vertretern Existenzangst und Ablehnung der neuen Verfahren aufkommen. Die humanistischen Ansätze, verhalten sich zunächst relativ forschungsfern. Gleichzeitig wird auf staatlicher Seite ein neues Psychotherapeutengesetz (PTG) vorbereitet, um den Beruf des psychologischen Psychotherapeuten zu etablieren.

Mitte der 1970er Jahre: Die Bundesanstalt für Angestellte, Berlin (BfA), die u.a. die Hardtwald-Kliniken in Zwesten belegt, zeigt sich unzufrieden über das magere Ergebnis der psychotherapeutisch-psychoanalytischen Reha-Behandlungen. Eine klinikkonzernweit, großangelegte Studie (Fragebogenaktion unter den Patient*innen) bestätigt den Eindruck: „Keine Besserung“. Daraufhin fordert der damalige Bereichsleiter der BfA, Dr. Wehovsky, die Einführung der sog. „neuen Verfahren“: Er verlangt nach einer Abteilung für Psychodrama (installiert ab 1977), einer für Gestalttherapie (installiert ab 1978) und einer für die Bonding-Therapie nach Dan Casriel (für letztere wird kein(e) Leiter(in) für Zwesten gefunden, wohl aber gibt es damals Casriel-Therapie in Bad Herrenalb). Diese relativierende Maßnahme ihrer Kompetenz kränkt die beiden Psychoanalytischen Chefs (G. Mentzel, O. Harling) in Zwesten. 1978 protestieren die beiden Psychoanalytiker bei der Landesärztekammer in Frankfurt/M (Prof. H. Rheindorf) persönlich dagegen, dass sie zusammen mit einer Nicht-Psychoanalytikerin (wenn auch TP-lerin und Gestalt-Lehrtherapeutin) in einem gleichen Weiterbildungskreis ermächtigt werden sollen. Das sei nicht gleichwertig, das sei ihnen nicht zumutbar. Frau Hartmann-Kottek wird auf deren Antrag hin bezüglich Aus- und Weiterbildung, Lehr- und Forschungserfahrung extra überprüft, jedoch sogar für „sehr gut“ ausgewiesen befunden und nach dieser Attacke unter den Schutz der Kammer gestellt. Als damalige Ausnahmeregelung erhält ihre Abteilung sowohl eine Teil-Weiterbefugnis für Psychiatrie sowie für Psychotherapie. Es gibt zudem nach und nach Sonderabsprachen mit der BfA für gestalttherapeutische Sonderbehandlungskonzepte für psychosenahe Menschen mit intervallmäßiger, stabilisierender Nachbehandlung. Der Ansturm ist groß, die Wartezeit beträgt bis zu zwei Jahren. Das gesamte Pflege- und Behandlungsteam erfährt eine beziehungszentrierte, gestalttherapeutische Zusatzausbildung, die (Gestalt-)Therapeut*innen sowieso. In den besten Zeiten der Besetzung gelingt es, das Soteria-Experiment Luc Ciompis in unserer Version zu kopieren, d.h. psychotische Erregungszustände im reizabgeschirmten Setting allein über ein achtsam, empathisches, kraftvoll, haltgebendes und verlässlich schützendes eins zu eins Beziehungsangebot medikamentenfrei bzw. medikamentenarm zu normalisieren und zu stabilisieren. Es ist eine Psychiatrie mit offenen Türen, die nur über die Beziehung hält und die trotzdem über die Jahre hin mit der Suizidquote weit unter dem Durchschnitt der bundesdeutschen Psychiatrien zu liegen kommt, sogar auch unter der Quote der psychoanalytisch geführten Nachbarabteilungen, die ausschließlich Neurose-Patient*innen versorgen. Für die eigenen psychosomatischen und Neurose-Patient*innen werden Behandlungsgruppen vorgehalten, die mit einer Doppel-Leitung von Therapeut*innen aus sowohl verbalen sowie nonverbalen Körper- & Kreativ-Therapiemethoden mindestens drei Wochen geschlossen laufen. Dabei ist eine Behandlungstiefe und Effektivität erreichbar, die sonst nicht erwartet werden kann.

1978: Beim Kongress der Deutschen psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) in Bad Zwesten, organisiert durch Dr. G. Mentzel, halten auch Lotte Hartmann-Kottek und Hildegund Heinl einen Einführungsworkshop in Gestalttherapie, an dem u.a. Herr G. Rudolf, seine Frau, das Ehepaar Ockel, Herr Fahrig und andere Führungskräfte der DPG teilnehmen.

Knapp zwei Jahre später macht Herr G. Rudolf Frau Hartmann-Kottek das Angebot, bei ihm zu habilitieren, um die Gestalttherapie in die Psychoanalyse einzubringen oder in Bezug zu setzen. Schweren Herzens sagt sie ab, weil sie gerade erst in der Gestalttherapie Abteilung Zwesten ein funktionstüchtiges Team auf die Beine gestellt hat und dieses nicht verlassen möchte. Ersatzweise macht sich G. Rudolf selbst inkognito über viele Jahre in gestalttherapeutischen Gruppen- und Einzelsettings mit dem Verfahren vertraut, was zuletzt in der „strukturbezogenen Psychotherapie“ seinen Niederschlag findet. Außerdem meldet sich ersatzweise die Zwestener „Gestalt-Klinik-Crew“ 1982 zur Mitarbeit bei einem Projekt des Bundesministeriums für Forschung (BMF) an, bei dem G. Rudolf die Federführung übernommen hat. Die „Gestalt-Crew“ wird in einigen Wochenenden Rater Training an der FU überprüft, ob ihr diagnostischer Blick tatsächlich kompatibel zur sonstigen Kollegenschaft ist. Das ist der Fall (Fortsetzung siehe 1981).

1980: „Geistiger Amoklauf“: Der Leiter des Hamburger psychoanalytischen Balint-Instituts meldet bei den Lübecker Psychotherapietagen einen Vortrag mit dem (sinngemäßen) Titel an: „Die geratenen und ungeratenen Kinder und Enkel Freuds. Warum man Sumpfblüten beizeiten mit Stumpf und Stiel ausrotten müsse.“ Hinter der erschreckenden Heftigkeit, der polarisierenden Radikalität und seiner Vernichtungswut – der fast wie ein fundamentalistischer Aufruf zu einem heiligen Krieg ankommt – ist auch seine Angst um sein Idol Freud (und vielleicht auch um seinen eigenen Lebensentwurf?) zu spüren. Die Kongress-Teilnehmer, mehr oder weniger psychiatrische Insider, sind sowohl über seine aggressiven Entwertungen, seine schwarz-weiß Malereien, wie über seine Intoleranz entsetzt, aber auch über die hochpathologische Struktur, die bei diesem psychoanalytischen Repräsentanten in aller Öffentlichkeit sichtbar wird. Im Saal entsteht so etwas wie ein „Fremdschämen“. In der Diskussion nach dem Vortrag erzählt eine Teilnehmerin, dass es unmöglich sei, im Institut des Referenten zu existieren, wenn man eine etwas abweichende Meinung als der Leiter habe; man würde von ihm gnadenlos platt gemacht, bzw. sozial vernichtet. Ein anderer Teilnehmer wagt vorsichtig dagegen zu setzen, dass er den Referenten, in dessen Institut er allerdings noch ganz neu sei, auch von einer beeindruckend väterlich, fürsorglichen Seite her kennen gelernt habe und sich nun sehr verwirrt erlebe. Nun, diese Polarisierung widerspricht sich strukturell nicht, sondern passt sogar sehr gut ins Bild. Obiger Referent (Dr. Michael Ehebald) war übrigens der Lehranalytiker von dem jüngeren der beiden Verfasser des BMJFFG-Forschungs-Gutachtens 1989-1991, von Herrn Dr. phil. Rainer Richter (siehe unten) und ist damit derjenige, der als der rigorose Vordenker des „Architekten der deutschen Spaltung“ in Richtlinien- und Nicht-Richtlinien-Verfahren in Deutschland angesehen werden kann. 

1981: Bei einer groß angelegten Studie zur „therapeutischen Arbeitsbeziehung“, die Anfang der 1980er Jahre offiziell vom Forschungs-Bundesministerium ausgeschrieben und subventioniert wird, unter der Federführung von G. Rudolf und der Supervision von A. Dührssen, beteiligt sich, neben zahlreichen Psychoanalytikern und tiefpsychologische fundierten Psychotherapeuten auch die Gestalttherapie Abteilung von Zwesten mit 6 Therapeut*innen (Lotte Hartmann-Kottek, Klaus Schubert, Jürgen Schultze-Siedschlag, Gabriele Ramin, Gabriele Kahn, Tanja Straßenburg) und 31 Patient*innen. Frau Dührssen lässt der Gestalttherapiegruppe im Vorfeld über die verantwortlichen Mitarbeiter Grande, Porsch und Rudolf, die ihr loyal verbunden sind, ausrichten, dass ihre Beteiligung unerwünscht sei, und dass sie ihre eigenen Daten nicht zu wissen bekommen sollten, damit sie sie nicht zum Vergleich mit der Psychoanalyse nutzen könnten. Die Gestalttherapeut*innen halten diese Nachricht von Frau D. lediglich für eine reine Abschreckungsmaßnahme und bleiben dennoch dabei; sie können es zunächst nicht glauben, dass Kollegen*innen, die auf ihre wissenschaftliche Ausrichtung und Glaubwürdigkeit Wert legen, andere Kollegen*innen ernsthaft und vorsätzlich zu unterdrücken bereit sind. Doch Frau Dührssens Anordnung wird von den ihr Ergebenen unwidersprochen befolgt. Die Gestalttherapeut*innen erhalten keinen Einblick in die Ergebnisse, werden an den Überlegungen zur Auswertung nicht beteiligt, erhalten keine Unterlagen über ihre Mitarbeit. Die Ergebnisse der Gestalttherapiegruppe heben sich aus dem Gesamt derart heraus – und scheinen zu irritieren – so dass sie bei den Psychoanalytikern in Berlin der Anlass zu Spekulationen über eine mögliche „Artefakt-Entstehung“ geben. „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“ – gemeint ist: Gute Ergebnisse anderer dürfen nicht echt sein – werden die erzielten Ergebnisse bei einer der Teilauswertungen durch Mittelung mit den Werten einer Berliner Psychiatrieambulanz „glatt gerechnet“, erzählt Herr R. nachträglich. Die Gestalttherapeut*innen werden dazu nicht um Erlaubnis gefragt und werden nicht als gleichberechtigte Kolleg*innen behandelt. Bei einer faktorenanalytischen Untersuchung der stationären therapeutischen Beziehungsentwicklung zeigt sich, dass diejenigen Beziehungen, in denen sich Patient*innen sicher, akzeptiert und sozial integriert fühlen – ein Merkmal, das die Gruppe der gestalttherapeutischen Behandlungen besonders auszeichnet und abhebt – im Therapieverlauf durch gegenseitige Wertschätzung zwischen Patient*in und Therapeut*in zunehmen und dass diese Qualität ein Prädiktor für ein gutes Therapieergebnis ist. Die Gestalttherapeut*innen erhalten, trotz mehrmaligen Bittens auch nachträglich keine Einsicht in ihre Daten. Ihre Mitarbeit ist im Titel völlig gelöscht, im Text weitgehend, man braucht einen kriminalistischen Spürsinn, um die Daten dieser Gruppe aufzuspüren. Immerhin ist G. Rudolf so fair, Lotte Hartman-Kottek (LHK) nachträglich, nach Erscheinen des Buches „Die therapeutische Arbeitsbeziehung. Untersuchungen zum Zustandekommen, Verlauf und Ergebnis analytischer Psychotherapien“, bei einer passenden Gelegenheit am Rande eines Kongresses, mündlich von der „Artefakt-Überzeugung“ seiner psychoanalytischen Kollegen Mitteilung zu machen – „weil nicht sein kann, was nicht sein darf“. Die Erklärung über das scheinbar unerklärlich gute Abschneiden der gestalttherapeutischen Therapien steht allerdings ganz schlicht auf S. 125 der entsprechenden Veröffentlichung (Rudolf 1991): „Die positive, emotionale Einstellung des Therapeuten zum Patienten (…) sagt eine günstige Entwicklung der Arbeitsbeziehung (…) voraus.“ Das entspricht genau der „Ich-und-Du-Haltung“ Martin Bubers, um die Gestalttherapeut*innen sich zu kultivieren bemühen. Bei der Suche nach Wirkfaktoren aus strukturellen, biografischen, sozialen oder Wirkfaktoren der Übertragungs-Gegenübertragungs-Achse finden sich keine bedeutsamen Signifikanzen. Damit hat diese umfangreiche, beziehungsorientierte Untersuchung, die sich über gut zehn Jahre erstreckt, das Ergebnis der kontextuellen Psychotherapieforschung (Wampold et al, 2018) in gewisser Weise vorweggenommen: Die Qualität der vom Therapeuten induzierten Arbeits-Beziehung ist für das Ergebnis entscheidend! 

1984: Konstantes Abschmettern der Avantgarde-Verfahren durch die Monopolhalter. Obwohl etliche Vertreter der neuen humanistischen Therapien in den 1980er-Jahren bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV, damals in Köln) Anträge stellen, Statistiken von Behandlungsunterlagen vorlegen, in Anhörungen Frage und Antwort stehen und obwohl die Kassenvertreter (zumindest im Fall der Gestalttherapie 1984) sehr gerne auf eine Integration der neuen Verfahren eingehen möchten, scheitert dies am Veto der psychoanalytischen Beratergruppe (Leiter: Prof. Paul Janssen); diese hatte die Ablehnung schon vor der Anhörung beschlossen! (Verantwortlicher Justitiar: Dr. R. Hess). Einer der psychoanalytischen Berater der KBV kommt unmittelbar nach meiner (LHK) Anhörung zur Gestalttherapie auf mich zu, stellt sich als Dr. Franz Rudolf Faber vor (der Autor des Faber-Haarstrick-Kommentars), gratuliert zu der eindrucksvollen Anhörung, nach der die Kassenvertreter die Gestalttherapie sofort als Verfahren aufnehmen wollten, und berichtet mir, dass sich seine Nebensitzerin, Frau Prof. A. Dührssen, über mich geäußert habe: „Schade, dass die nicht eine von uns ist“ – aber so stimme sie gegen die Aufnahme der Gestalttherapie. Er gibt mir zu verstehen, dass ich diesen meinen Weg weitergehen solle, auch wenn aus dem aktuellen Antrag nichts würde, was er als „Insider“ im Voraus zu wissen bekam. Einige Jahre später meldet er sich nochmals, als er altershalber eine Chefarztnachfolge für seine Klinik sucht und bietet sie mir vertrauensvoll an. Ich bin bewegt von seiner Ehrlichkeit (es passt damals bei mir leider aus familiären Gründen nicht). Die Erinnerung an diesen aufrechten, psychoanalytischen Kollegen hilft mir gegen negatives Pauschalieren, wenn ich diesbezüglich doch in Versuchung komme, dafür bin ich dankbar. 

1986: Klaus Grawe (Verhaltenstherapeut und Psychotherapieforscher in Bern) beendet seine Metaanalyse aus sämtlichen Psychotherapie Studien der letzten 50 Jahre, nämlich von 1934 bis 1984. Er kategorisiert die Arbeiten nach methodischen Kriterien und ordnet die Ansätze nach ihrem eigenen Selbstverständnis Clustern zu. Im Vergleich der geprüften, verglichenen Signifikanzen zum Verhältnis der möglichen ergibt sich eine Wirksamkeits-Rangreihe zwischen den Verfahrens-Clustern. Diese Rangreihe löst Entsetzen bei den etablierten Verfahrensvertretern aus, weil der Monopolhalter, die Psychoanalyse, im Vergleich zu allen anderen Psychotherapieschulen, an allerletzter Stelle bezüglich der Behandlungserfolge steht, sogar noch unter den Entspannungsverfahren. Die Verhaltenstherapie (VT) liegt, qualitativ gesehen, in der Mitte. Die neuen Verfahren, die humanistischen und „interpersonalen“ Ansätze liegen im Vergleich an der Spitze. 

1987: Die Verhaltenstherapie (VT) hat sich inzwischen mit ihrer kognitiven Art in den Forschungslabors der Universitäten etabliert. Sie fordert nun die monopolisierende Psychoanalyse zum Duell heraus und, obwohl diese noch Otto Kernberg zur Verstärkung einfliegen läßt, siegt die VT: Sie legt auf dem speziell dafür veranstalteten Kongress öffentlich Vergleichsstudien mit der Psychoanalyse vor, bei denen sie extrem viel bessere Ergebnisse vorweist, um die eingeladenen Kassenvertreter zu beeindrucken und zu überzeugen, dass es ihr Vorteil wäre, die VT als Kassenleistung in Deutschland zuzulassen. So geschieht es. Bei den VT-Arbeiten werden zu dieser Zeit die Verzerrungsfehler, z.B. Allegiance-Effekt, Symptomskalen-Effekt u.a. nicht korrigierend berücksichtigt, obwohl die Verzerrungsfaktoren dem Verantwortlichen, Klaus Grawe, bereits bekannt sind. Ein zusätzlicher, aber unnötiger Bluff?! Die fehlerkorrigierten VT-Arbeiten sind zwar immer noch deutlich besser aber sie sind nicht derart „haushoch“ besser als die der Konkurrenten, wie demonstriert worden war (mündliche Information über U. Strümpfel). 

1989: Das Bundesministerium für (u.a.) Gesundheit (BMJFFG) schreibt ein Gutachten zur Vorbereitung des Psychotherapeutengesetztes (PTG) aus. Es will mit „wissenschaftlich zuverlässigen“ Daten geklärt bekommen, a) welche Verfahren in Zukunft zugelassen werden sollen, weil sie wirksam sind, b) wie das Berufsbild des psychologischen Psychotherapeuten aussehen solle und c) welche Erfahrungen aus dem Ausland dabei nützlich sein könnten. Um das Gutachten bewerben sich zwei Psychoanalytiker aus dem Hamburger Balint-Institut (Leiter: Dr. M. Ehebald), Herr Prof. Dr. A.E. Meyer und Herr PD Dr. Dipl. Psych. Rainer Richter. Letzterer wirbt ersteren an, mitzumachen. Ein Parallelgutachten wird erstaunlicherweise trotz der großen Bedeutung nicht in Auftrag gegeben! 

April 1989: Klaus Grawe stellt auf einem Psychotherapie Kongress in Lindau die Ergebnisse seiner Metaanalyse vor, inklusive der (o.g.) Rangreihen-Tabelle. Natürlich freue ich mich riesig darüber, endlich schwarz auf weiß zu sehen, was meiner langjährigen Erfahrung entspricht: Die humanistischen Verfahren bilden die Spitze! Nach der Vorlesung unterhalten wir uns länger mit Klaus Grawe. Er erweist sich neugierig und offen gegenüber den auffallend guten Arbeiten zur Gestalttherapie, auch wenn es erst wenige wären, sie könnten zukunftsweisend werden. Er möchte gerne herausfinden, was zu diesen Effekten beitrüge. Er fragt uns als Praktizierende nach unserer Meinung. Ferner wolle er demnächst eine Kombination aus Gesprächstherapie und Verhaltenstherapie ausprobieren lassen und wolle sich auch selbst bei den Systemikern umsehen. Kurz danach lässt er sich zusammen mit noch zwei anderen Fachleuten aus dem Verwaltungs- und Finanzbereich einbinden, in das psychoanalytische Team von A.E. Meyer & Rainer Richter, den Hauptverantwortlichen für das „Forschungsgutachten“. Grawe gibt dabei die Interpretationsvollmacht über die von ihm erarbeiteten Daten ab. Ab jetzt behauptet Grawe in der Öffentlichkeit mit unzugänglicher Mine, es gäbe keine Endausrechnung und keine Rangreihenvergleiche und es werde auch in Zukunft keine mehr geben.

1990: Ein Mitglied aus dem inoffiziellen, psychoanalytisch, berufspolitisch interessierten Innenkreis, der aber gleichzeitig (wie ich damals) zur SPR (Society for Psychotherapy Research) gehörte, Prof. H. Kächele, scheint mit den Plänen, wie mit den wissenschaftlichen Daten umgegangen werden solle, nicht einverstanden zu sein. Als ob er ein schlechtes, wissenschaftliches Gewissen hätte, raunt er mir bei einer Kaffeepause am Kongress in Lindau zu: „Wenn ich wie Sie für Gestalttherapie zuständig wäre, Frau Hartmann-Kottek, würde ich es nicht zulassen, wie man mit den guten Daten der Gestalttherapie umgeht.“ So schnell, wie er gekommen war, ist er auch schon wieder weg. Um weiteres zu erfahren, wende ich mich dort umgehend an Klaus Grawe, der mir erklärt, dass die Gestalttherapie zu einem Splitter von einem der zerschlagenen Cluster erklärt worden sei. Ein Splitter werde für eine weitere statistische Verrechnung als zu klein erachtet und habe insofern keine Existenz mehr. Auf meine Bitte hin, weitere Arbeiten nachreichen zu können, zumal sechs Jahre nach dem Sammelschluss der Metastudie vergangen waren, schüttelt er entschieden den Kopf: Die Gestalttherapie bekommt, wie alle zu Splittergruppen erklärten Verfahren, keine Chance mehr. Die Würfel seien gefallen. Er wirkt ab nun versteinert und unzugänglich. Es bildet sich offenbar zu dieser Zeit inoffiziell eine Machtinteressensgruppe um jene Personen, denen es nach jahrelangem Bemühen um lobbyistische Einflussnahme gelungen ist, im Ministerium als kompetente, scheinbar vertrauenswürdige Ratgeber Fuß zu fassen. Von solchen Bestrebungen hatte mir schon Mitte der 80er Jahre ein psychoanalytischer Chefarzt Kollege, Dr. Gerhard Mentzel, stolz erzählt; er habe für diese Art von besonders lohnender Arbeit an seinen Verband große Summen gespendet. Er freue sich sehr, dass „man“ – nicht zuletzt mit Hilfe solcher Spenden – im Ministerium gut vorankäme. 

1991 (Sommer): Prof. A. E. Meyer lädt alle Verbandsvertreter der humanistischen und systemischen Verfahren nach Hamburg ein um ihnen zu eröffnen, dass das wissenschaftliche Datenmaterial von Klaus Grawe ergeben habe, dass es nur zwei Grundrichtungen gäbe, 1) die Psychoanalyse samt den psychoanalytisch abgeleiteten Verfahren und 2) die Verhaltenstherapie und deren Derivate. Bei sachlichen und zweifelnden Einwänden von forschungsbewanderten Kollegen aus dem Auditorium, duldet er keinerlei Diskussion. Er wirkt ungewöhnlich schroff, hat keine Argumente. Klaus Grawe projiziert währenddessen mit wiederum auffallend versteinertem Gesicht Zahlen an die Wand, die die Hiobs-Botschaft rechtfertigen sollen: Alle hier versammelten Richtungen haben in Zukunft kein Recht auf Patientenbehandlung mit Kostenerstattung durch die Krankenkassen, lässt uns Herr Meyer wissen. Das Gewohnheitsrecht der Kostenerstattung für die neueren Verfahren, das sich in den letzten Jahrzehnten (zur großen Zufriedenheit von Patienten und Kassen) entwickelt hatte, soll nach dem Willen dieses „Forscherteams“ per Gesetz wieder aufgehoben werden. Dieser Vernichtungswille wird auch in den Folgejahren nicht abgeändert, obwohl in den 1990er Jahren Studien veröffentlicht werden, die nachweisen, dass die humanistischen Verfahrensgruppen mindestens (!) so erfolgreiche Behandlungen durchführen wie die Psychodynamischen oder die Verhaltenstherapeutischen. Für diesen Sonderweg war die Techniker Krankenkasse ein hilfreiches Vorbild. Man habe die politischen Entscheidungsträger und Mitarbeiter des Ministeriums vom eigenen, wissenschaftlich begründeten Kurs überzeugen können, vermittelte uns Herr Meyer. Nun gehe es nur noch um die Umsetzung. Alle spüren bei dieser Zusammenkunft: Es geht nicht um Wahrheit, es geht nicht um Wissenschaft, es geht nicht um das Wohl des Patienten, es geht um blanke Macht von zwei Interessensgruppen gegenüber dem Rest der psychotherapeutischen Kollegenschaft. Dieser Machtanspruch soll gesetzlich fixiert werden. Gnadenlos. Es herrscht blankes Entsetzen über so viel Skrupellosigkeit. Niemand kann zu jener Zeit die behauptete wissenschaftliche Begründung nachprüfen; es entsteht ein Gefühl von Ausgeliefertsein, Wut und Ohnmacht, auch von Fremdschämen und Verachtung. Das wollen Vorbilder für menschlich reifes Handeln sein?! 

1991: Alle Psychotherapie Verbände bekommen je ein Exemplar des Forschungsgutachtens von A. E. Meyer und R. Richter (unter Mitwirkung von Klaus Grawe u.a.) zugesandt. Darin wird behauptet, dass sich die Schlussfolgerungen auf das gesamte Datenmaterial von Klaus Grawes Metanalyse bezögen, was nicht stimmt, denn es werden nur einzelne Daten und Vergleiche herausgepickt, nämlich soweit sie die interessengeleitete Interpretation über die zwei Grundrichtungen, die allein existenzberechtigt sein sollen, stützen, und soweit sich für diese zwei Verfahrensgruppen eine Wirksamkeit belegen lässt: Eben für die Psychoanalyse, inklusive Tiefenpsychologie und die Verhaltenstherapie. Es wird vermieden, zu bekennen, dass die Psychoanalyse in keinem einzigen der vielen Vergleiche die Überlegene ist. Es wird überhöhend gefeiert, dass ihre Wirksamkeit überhaupt belegt ist, wie bescheiden dies ausgefallen ist, spielt keine Rolle, immerhin liegt das Ergebnis über der Placeboebene. Die Wirksamkeit der Psychoanalyse sei nun erwiesen und zwar besser als es sich mancher Psychoanalytiker gedacht hätte. Was für ein wissenschaftsrelevantes Kriterium! Und was ist mit den anderen?! Über statistisch zu kleine Splittergruppen könne man keine Aussagen machen. Sie seien irrelevant und werden als nichtexistent gewertet. Das „Forscherteam“ wendet den statistischen Trick an und nimmt sich die Definitionsmacht heraus, die eigenen Verfahrensgruppen als ein Ganzes zu belassen und die der Konkurrenz in ihre Untergruppen aufzusplittern, obwohl in Grawes Material alle Cluster vergleichbar homo- und heterogen ausgefallen sind, obwohl sie ähnlich große Untergruppen aufweisen und jeweils durch einen gemeinsamen, geistigen Ansatz verbunden sind. Die gegebene Interpretation ist zunächst für Außenstehende nicht überprüfbar, weil sie keinen Einblick in das Daten-Material der Metaanalyse bekommen können. Das ist Missbrauch von Statistik und interessensgeleiteter Missbrauch von Definitionsmacht, auch Missbrauch der politischen Macht der Selbstverwaltung für scheinwissenschaftliche Behauptungen! Mit dieser irreführenden Datenmanipulation schafft es die minderwirksamste Verfahrensgruppe den Gesetzgeber dazu zubringen – trotz des bestehenden Rechtsstaates und trotz seines menschenwürdigen Grundgesetzes – ihre gefürchtete Konkurrenz elegant und scheinbar rechtmäßig liquidieren zu lassen. Es hat schon lange keinen solch „ethischen Zwergwuchs“ an der Spitze unseres Faches gegeben, ein Fach, das eigentlich der menschlichen Reifung dienen sollte! 

1994: Hinter den Kulissen des „Forscher-Teams“ muss es alsbald ein ernüchterndes Zerwürfnis gegeben haben. Klaus Grawe veröffentlicht bei Hogrefe das Rohdatenmaterial seiner Metaanalyse, wenn auch weiterhin ohne Endausrechnung. Aus dem Kommentar ist abgrundtiefe Entrüstung zu spüren, die sich gegen die fast generalisierte, skrupellose Anspruchshaltung der Psychoanalyse richtet. Der Titel dieses Werkes heißt: Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession (1994, Hogrefe). Da bei den Rohdaten auch die geprüften Signifikanzen angegeben sind, wenn auch nicht mit ihren unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsebenen, gelingt es methodisch Sachkundigen, die der Öffentlichkeit vorenthaltene Endausrechnungstabelle in einer etwas vergröberten Form nachzuberechnen: Uwe Strümpfel 2006, Therapie der Gefühle, EHP, S. 266/267. Die Spitzenplätze nehmen ein: Die interpersonale und humanistische Gruppe. Im Mittelfeld liegt die Verhaltenstherapie (VT). Auf den Schlussplätzen landen: Die Entspannungsverfahren und zuletzt die Psychoanalyse. Dazwischen gibt es noch Mischformen. Als Gegenreaktion gegen die o.g., als Provokation empfundene Kritik der Psychoanalyse erscheint eine Bestandsaufnahme von Tschuschke et al.  über „methodologisch und statistisch falsche und unzulässige Verfahren“, und über „einseitige Interpretationen, die zu unhaltbaren Schlussfolgerungen“ zugunsten der Verhaltenstherapie geführt haben. Tschuschke kann Falschberechnungen zugunsten der VT nachweisen. Deutschland wird zum Ort einer wissenschaftlichen Schlammschlacht, in der Fairness und Augenmaß verloren zu gehen drohen, sowie auch die seriöse Psychotherapieforschung. Verhaltenstherapeuten und Psychoanalytiker stehen sich in jener Zeit wie Feuer und Wasser gegenüber. Die gegenseitige Aggression wird abgemildert, wenn sie ein Ventil nach außen findet. Wie gut, dass es „Nicht-Richtlinien-Verfahren“ gibt, deren Existenz, Ansehen und Beliebtheit per Gesetz demnächst vernichtet werden kann. Wie gut, offiziell auf der Seite der Rechtschaffenen zu stehen, obwohl man eigentlich Täter ist. 

1994-98: Wann immer einzelne Verbandsvertreter von den nicht zum inneren Forscher-Team gehörenden Ansätzen beim Ministerium (BMJFFG) ihre Aufwartung machen, z.B. die Gestalttherapie-Vertreter*innen, auf neue gute Forschungs- oder Behandlungsergebnisse hinweisen möchten, werden sie von der Ministerin oder ihrer Vertretung zwar höflich empfangen, aber darüber aufgeklärt, dass man vom Ministerium aus die Angelegenheit der Verfahrensanerkennung bereits in die Hände der Kolleg*innen gelegt habe, die ihre Kompetenz durch ihr Forschungs-Gutachten doch wohl unter Beweis gestellt hätten. Die Juristen hätten für sie bereits den Status einer „Selbstverwaltung“ ausgearbeitet, wodurch sie ihre eigenen Angelegenheiten souverän selbst erledigen und demnächst untergesetzliche Regelungen eigenmächtig erlassen könnten. Welche rechtliche Basis hat der Ausschluss der Nicht-Richtlinien-Verfahren? Als ich im Folgejahrzehnt einmal Herrn Dr. jur. Hess (BMG) mit der rückwirkenden Frage anschreibe, worauf sich der Ausschluss der Gestalttherapie und der anderen genannten Nicht-Richtlinien-Verfahren offiziell gründe, der seit 1998 im Richtlinien-Kommentar (im Anhang A) fest- und bei jeder Neuauflage fortgeschrieben werde, lässt er durch seinen Sachbearbeiter, Herrn Dr. Deissler, antworten, dass es kurz vor dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetztes (PTG) durch ein Gremium, das sich angeblich mit der Erhebung große Mühe gegeben hätte, eine Befragung der Verbände gegeben habe. Auf dieser Basis habe man die Entscheidungen getroffen. Nun kann ich mich vage an einen Fragebogen erinnern, bei dem es um die Verbreitung des Verfahrens ging, um seine Nebenstellen, Mitglieder, Ausbildungsangebote, Lehrpersonen, empfohlene Literatur etc. Die Gestalttherapieszene ist in den 1990ern sehr verbreitet und flächendeckend sehr gut aufgestellt. Die Umfänge der gestalttherapeutischen Lehrpläne orientieren sich an den Empfehlungen der Europäischen Association for Gestalt Therapy (EAGT), die um 1500 Stunden liegen. Sie übertreffen bis heute die gängigen Richtlinienverfahren, v.a. bezüglich des Anteils an Selbsterfahrung. Auch ist ein mehrfaches Auswahlscreening vorgesehen. In besagtem Briefwechsel mit Herrn Hess will man mir also vonseiten des Ministeriums glauben machen, dass jenes (sicher nicht neutrale) Gremium (das vermutlich aus Mitgliedern der späteren Richtlinien-Gruppe stammte) mittels eines selbst gestrickten Erhebungsbogens aufgrund von Verbreitungsdaten über Sein und Nicht-Sein der Verfahren beschlossen haben soll. Das wäre sehr willkürlich, aber evtl. juristisch über das Selbstverwaltungsrecht abgedeckt (?). Diese Version scheint den Autoren akzeptabler vorzukommen als die an Sicherheit grenzende wahre Version, nämlich, dass es den Plan schon seit dem „Forschungsgutachten“ gibt (1991), dass niemand und nichts außer den beiden späteren Richtlinienverfahren eine Überlebenschance haben sollte, egal, was die Wissenschaft dazu sagt. Daraufhin wurde offenbar jahrelang hingearbeitet. 

1998: Das Psychotherapeutengesetz (PTG) passiert den Bundestag und wird gültig. Psychoanalyse, Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie werden zu sog. Richtlinienverfahren erklärt. Wer von den sonstigen Psychotherapeuten weiterhin Psychotherapie machen möchte, muss sich zusätzlich in einem Richtlinienverfahren ausbilden lassen, muss also „umschulen“, bzw. „konvertieren“. Es wird den Krankenkassen verboten, Therapien, die keine Richtlinienverfahren sind, zu vergüten, egal, wie erfahren die Betroffenen sind und wie zufriedenstellend die Vertrags-Psychotherapeuten für ihre Patienten bislang gearbeitet haben. Die entsprechenden Praxen müssen schließen. Ihre Existenz ist vernichtet. Familien kommen in Not. Ausbildungs-Institute gehen ein. Es bleibt in der betroffenen Kollegenschaft, ein ohnmächtiges, empörendes Unverständnis über so viel Willkür und Ungerechtigkeit zurück. Flankiert von ihren Verbandsjuristen, richtet die Lobbyistengruppe der Psychoanalytiker und Verhaltenstherapeuten einen „Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP)“ von 12 stimmberechtigten und 12 Stellvertretern ein, der, nach dem Vorbild der bisherigen Arbeitsgemeinschaft der Richtlinienpsychotherapeuten (AGR) hälftig aus Psychoanalytikern und hälftig aus Verhaltenstherapeuten besteht, ebenso hälftig aus Psychologen und Medizinern mit anteiligen Kinder- u. Jugendlichentherapeut*innen. Außer in der zweiten Amtsperiode, als es ein einziges Mal in der Person von Prof. Dr. Jürgen Kriz, einen stimmberechtigten Systemiker / Humanisten gab, wurde kein weiteres Mal ein Vertreter mit einer Nicht-Richtlinien-Identität in den WBP berufen. Insofern spiegelt der WBP den Macht-Proporz der vorbereitenden AGR-Lobby-Gruppe bis heute wider. Der WBP ist nicht neutral besetzt. Er ist kein demokratisches Organ, kann bei Unzufriedenheit nicht abgewählt werden, sondern wird von den Kammern der Ärzte und Psychologen berufen und ist als Teil der „Selbstverwaltung“ mit untergesetzlicher Machtbefugnis ausgestattet. Er scheint de facto keinem höheren Gremium verpflichtet, weder bezüglich des Grundgesetzes, noch bezüglich wissenschaftlicher Deutungshoheit oder ethischer Normen. Er kann sich selbst andere Maßstäbe zubilligen und Privilegien einräumen als er es nach außen hin von den Antragstellern verlangt. Er ist als Gutachtenstelle juristisch nicht beklagbar. Offiziell wird in den ersten Jahren die Aufgabe des WBP im Internet mit der Pflicht beschrieben, die Bevölkerung vor Scharlatanerie zu schützen. Aber wer, bitte, ist hier der Scharlatan?! Kurze Zeit nach Installierung des PTGs fällt im Kollegenkreis der Richtlinienverfahren bald das fast völlige Fehlen von verwertbaren Wirksamkeitsstudien der Psychoanalyse unangenehm auf. Es gibt keine Studie für Langzeitpsychoanalyse, keine für die Jung’sche Analyse, Daseins-Analyse, fast keine für die Kinder- und Jugendlichen-Psychoanalyse. Die sonst als minder geachtete Tiefenpsychologie steht diesbezüglich ein klein wenig besser da und wird diesbezüglich von der Psychoanalyse vereinnahmt. Alle anderen Unterschiede bleiben zwischen beiden bestehen. Aufgrund der gesetzlichen Absegnung der beiden Richtlinienverfahren hat es jedoch letztlich keine Konsequenz, ob die Psychoanalyse Wirksamkeitsstudien hat oder nicht. Sie erklärt sich selbst für kassenfähig und im Besitzstandsrecht. Andere Verfahren, deren Wirkung inzwischen weit besser belegt ist, z.B. die Gestalttherapie, werden pseudorechtlich unterdrückt. Aufgrund meiner gleichzeitigen Zugehörigkeit zur tiefenpsychologischen Fachgruppe (DFT) habe ich Einblick in die „außerordentlich bescheidene“, primäre Studiensammlung der psychodynamischen Gruppe, die 1998 zur Rechtfertigung ihres Privilegs gedient hatte. Es grenzte an Peinlichkeit. Im Laufe der Zeit mag sie noch etwas angereichert worden sein. Die Psychoanalyse alleine, sowohl im Erwachsenen- wie im Kinder- und Jugendlichen-Bereich, erfüllt bis heute nicht die Forderung, die Neu-Antragstellern abverlangt wird, obwohl die vielen Millionen an Forschungsgeldern der letzten 20 Jahre allein von den „Richtlinien-Verfahren“ verbraucht worden sind. Die unterdrückte Hälfte der ehemals jüngeren Hoffnungsträger der Psychotherapie geht seit 1998 selbstverständlich leer aus. Sowohl die echte, neutrale Wissenschaft sowie die Verantwortung für eine maximal wirkungsvolle Patientenbehandlung, inklusive Patientenschutz, wird in diesem juristischen Fehlkonstrukt den berufspolitischen Interessen, der durch bewusste, wissenschaftliche Fehlinformation, also durch gezielte Täuschung, an die Macht gekommenen Verbände untergeordnet. Offenbar fehlt es an einer neutralen, juristischen Kontrollinstanz. In Deutschland gibt es Bereiche, die politisch zentral gesteuert und andere, die zur politischen Länderhoheit gehören. Bildungssache ist Ländersache. Die Genehmigung von psychotherapeutischen Ausbildungsinstituten fällt in die Länderhoheit. Prof. R. Richter, die „graue Eminenz“ der Lobby-Hausmacht, bzw. der Architekt der Psychotherapieszenen Spaltung, weiß geschickt die politischen Ländervertreter zu überzeugen, dass es Sinn mache, ihre gesetzlich zugestandene Länderhoheit freiwillig in die kompetente Obhut des neuen WBPs zu legen und sich dessen gutachterlichen Rat zu holen, wann immer es um Zulassung von neuen Verfahren und Ausbildungsinstituten gehen solle, denn es sollte doch in Deutschland möglichst einheitlich zugehen. Noch 20 Jahre später – anlässlich einer Diotima-Preisverleihung im Herbst 2018 – amüsiert sich R. Richter beim Kaffeetrinken stolz und spöttelnd gegenüber anderen Gästen (angesichts von Lotte Hartmann-Kottek, Klaus Schubert u.a.), wie leicht sich die Länder-Repräsentanten hätten beeindrucken, um nicht zu sagen „bluffen“, lassen, als er ihnen suggerierte, wie gut und kompetent er und seinesgleichen seien. Er sei stark aufgetreten und hätte eben gesagt, wie gut sie seien – und zu den Gestalttherapeut*innen gewendet: „Ihr habt das nicht gemacht“ – selber schuld. Von Skrupel findet sich bis heute keine Spur, wie es scheint. Die Verhaltenstherapie (VT) sagt und schreibt seit gut zwanzig Jahren über sich selbst, sie habe keine gemeinsame Theorie, keinen gemeinsamen Ansatz, sie erweise sich lediglich als eine Gruppierung von Ansätzen. Diese Ehrlichkeit verdient Achtung. Aber: Wenn die VT bei sich selbst nichts ausreichend Gemeinsames sieht, können keine einzelnen Forschungsergebnisse auf andere Sparten oder „Tools“ generalisiert werden – das wird dennoch getan. Beim Antrag der humanistischen Psychotherapie wird später genau dieses Argument, der angeblich zu geringen Gemeinsamkeit einer Verfahrensgruppe als Ablehnungsargument benutzt, obwohl es dort mehr Gemeinsamkeit gibt als innerhalb der VT. Das passt nicht zusammen. Ab 2005 scheinen sich im Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) die Einfälle zu übertreffen, wie in Zukunft die methodische Hürde für eingereichte Studien von Neu-Antragsteller möglichst perfekt und hoch angesetzt werden soll. In mehreren Überarbeitungen wird 2007 ein Kriterienkatalog, genannt „Methodenpapier“, als eine Messlatte mit idealtypischen Anforderungen aus der Pharmaforschung (Efficacy-Forschung) zusammengestellt, obwohl diese Kriterien in der internationalen Wissenschaft zeitgleich als Messwerkzeuge für die Psychotherapie höchst umstritten sind, etwa vom Nestor der Psychotherapieforschung, David Orlinsky (USA) her angeprangert sowie aus der Sicht aller kontextuellen Psychotherapie-Forschergruppen, die etliche preisgekrönte Persönlichkeiten hervorbrachten, infrage gestellt werden. Das deutsche Team orientiert sich nicht an der Entwicklung der internationalen Psychotherapieforschung, wie es scheint, es hat offenbar andere Zielvorstellungen: Aus dem Mund eines Langzeit-Mitglieds im WBP, B. St., ist von ihm um die „Geburt des Methodenpapiers“ (am Rande eines Kongresses im Ausland) triumphierend zu hören, dass nun sicher niemand (d.h. kein weiteres Verfahren) mehr die aufgetürmte Hürde überwinden können wird. 

2008: Nachdem es die systemischen Kollegen fertiggebracht hatten, verschiedenen befreundeten, ausländischen Kollegen gezielt und nach genauer Maßgabe Aufträge für die geforderten Studien zu erteilen und diese auch erfüllt werden konnten, vermögen sie die Abwehrmauer des Methodenpapiers zu überwinden und müssen nun 2008 vom WBP, trotz einiger Widerstände,  wissenschaftlich anerkannt werden. Aus den Augen der Monopolhalter ein Betriebsunfall? Solche Fantasien entstehen, wenn man die 10-jährige Wartezeit bis zur sozialrechtlichen Anerkennung bedenkt. Die Wartezeit für die systemische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie hält weiter an. Mit welchem Recht wird so verfahren? Zur Zeit der WBP-Anerkennung gehören dem WBP ein systemischer stimmberechtigter Teilnehmer (Kriz) und eine systemische Stellvertreterin (von Sydow) an. Es ist noch nie ein Verfahren im Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP) akzeptiert worden, wenn ihm nicht gleichzeitig ein Insider angehörte, der es zu verteidigen bereit war. 

2009: Ablehnung der Gesprächstherapie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) als kassenzugelassenes Verfahren. Gründung des „Großen Ratschlags“, später umbenannt in Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPT) primär durch Gesprächstherapeuten.

2010: Anerkennungsantrag für Gestalttherapie eingereicht, verfasst durch Lotte Hartmann-Kottek und Uwe Strümpfel, DVG/DDGAP. Dieser Antrag wird auf Bitten der AGHPT ab 2012 ruhen gelassen. 

2012: Anerkennungsantrag der AGHPT. Die Arbeiten des Gestalttherapie Antrags werden dem AGHPT-Antrag kollegial zur Verfügung gestellt und dort mit aufgeführt. 

2014: Internationaler D-A-CH-Gestalttherapie-Kongress in Kassel „Gastalttherapie – Faszination und Wirksamkeit“, ausgerichtet durch den Dt. Dachverband Gestalttherapie f. approbierte Psychotherapeuten (DDGAP). 

2015: Wiederaufnahme und Aktualisierung des Anerkennungsantrags für Gestalttherapie, nachdem auch die Gesprächstherapie wieder als eigenes Verfahren berufspolitisch aufzutreten versucht.  

2018: Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) lehnt nach einer sechsjährigen Prüfzeit mit Hilfe seines Methodenpapiers den Anerkennungsantrag der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPT) ab, ebenso den Anerkennungsantrag der Gestalttherapie für Erwachsene. 

2018 gehört dem WBP kein humanistischer Insider an, weder als Stimmberechtigter, noch als Stellvertreter. Obwohl die kontextuelle Psychotherapieforschung (Wampold, Imel, Flückiger) im WBP aufgenommen und debattiert wird und obwohl eines der Mitglieder (B. St.) dazu ein aufgeschlossenes Vorwort geschrieben hat, wird das Methodenpapier, das damit nicht übereinstimmt, nicht danach überarbeitet. Niemand stellt dafür einen Antrag. Wie steht es um die Glaubwürdigkeit des WBPs und ihrer einzelnen Vertreter? Es wird wohl von zwei WBP-Mitgliedern eine wissenschaftliche Überprüfung eigeleitet, die herausfinden möchte, ob die Zusammenfassung der RCTs und der konventionell kontrollierten Studien der humanistischen Sammlung einen signifikanten Unterschied zum Ergebnis der reinen RCT-Verrechnung entstehen lässt. Das Ergebnis wird für das Frühjahr 2021 erwartet. Parallel zur Ablehnung des Anerkennungsantrags der Gestalttherapie durch den WBP wird auch der seit 2011 bei der Länderbehörde in Frankfurt ruhende Antrag auf ein Staatliches Ausbildungsinstitut für Gestalttherapie abschlägig beschieden. Gegen dieses Urteil war es nun möglich geworden, in einen verwaltungsrechtlichen Klageweg einzutreten und
1) das blinde Folgen der Länderbehörde einem nachweislich nicht neutralen Gremium, nämlich dem WBP, als ungesetzlich zu kritisieren.
2) Ferner steht an, dass der WBP mit einer wissenschaftlich kritikwürdigen Sammlung an Kriterien die Zulassung von Verfahren prüft und ungerechtfertigt ablehnt.
3) Aufgrund der geschilderten Vorkommnisse im Vorlauf des PTGs, wird die Legalität der gesetzlich festgeschriebenen Spaltung in Richtlinien und Nicht-Richtlinien-Verfahren untersucht und die verbandspolitisch bedingte Vorherrschaft überprüft.
Die Klage ist derzeit beim Verwaltungsgericht in Kassel anhängig und wartet auf ihren Verhandlungstermin.

2021: Die Nachprüfung der Gestalttherapie Arbeiten für Kinder- und Jugendliche steht Anfang des Jahres 2021 noch aus und soll, vom WBP aus, nach dem „Methodenpapier“ vorgenommen werden, wodurch natürlich ein negatives Ergebnis zu erwarten ist. Dabei wird auch die Metaanalyse von S. Bratton zu Fall gebracht, sofern das Methodenpapier als ein wissenschaftlich angemessenes Instrument anerkannt wird, eine Metaanalyse der Play-Therapy-Studien von 1959 bis 2000, die belegt, dass humanistische Play-Therapie-Verfahren dem Gesamt der restlichen Play-Therapy-Varianten anderer Verfahren hochsignifikant überlegen sind. Die DDGAP-Vertreterin, Lotte Hartmann-Kottek, verweist auf die wissenschaftliche Untauglichkeit des Methodenpapiers vor dem Hintergrund der kontextuellen Psychotherapie-Forschung. Die kognitive Dissonanz, bzw. die Doppelbödigkeit des WBPs zwischen Handeln und wissenschaftlicher Meinungsäußerung sei weder weiter zumutbar noch tolerierbar. 2021 Bruce Wampold, der Psychotherapieforscher aus den USA (mit APA-Award) wird gebeten, zum Methodenpapier des deutschen WBPs, Stellung zu nehmen.

Zusammenfassung: 

Der deutsche Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) ist von vornherein als ein Organ der berufspolitischen Interessenverbände im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und seiner Selbstverwaltung konzipiert worden. Er ist nie neutral gewesen, obwohl er vom Gesetzgeber her „plural besetzt“ sein sollte. Er spiegelt einesteils den Machtproporz zwischen Psychoanalyse und Verhaltenstherapie der Gründungszeit (1998) und der Verhältnisse davor in der Arbeitsgemeinschaft der Richtlinienverfahren (AGR) wider und anderenteils die 1998 neu geschaffene Spaltung zwischen den in die gesetzliche Etablierung eingedrungenen „Richtlinienverfahren“ gegenüber den von ihnen aus der Patientenversorgung ausgegrenzten „Nicht-Richtlinienverfahren“. 

Der WBP ist insofern ein juristisches Fehlkonstrukt von Anfang an, weil ein automatischer Interessenskonflikt vorgegeben ist zwischen den Verbandsinteressen einerseits, die durch die Zugehörigkeiten der üblicherweise 6 psychoanalytischen und 6 verhaltenstherapeutischen, stimmberechtigten Gremien-Mitgliedern gegeben ist und zwischen der im Grundgesetz verbürgten freien Entfaltungsmöglichkeit der Wissenschaft, die dafür einen Rahmen mit gesicherter Neutralität benötigt.

Das Methodenpapier 2.8, mittels dem der deutsche Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) 2018 u.a. den Anerkennungsantrag der Gestalttherapie als ein wissenschaftliches Verfahren abgelehnt hat, ist

1) kein für alle Verfahrensgruppen geeignetes und weltweit auch kein wissenschaftlich unumstrittenes Instrument für die Beurteilung von wissenschaftlichen Studien. Es ist ein Instrument, das die Merkmale eines lerntheoretischen Vorgehens (also das der Verhaltenstherapie) generalisiert und auf alle anderen Verfahren, speziell auch auf überwiegend beziehungs- und prozessorientiert arbeitende, überträgt. Es begeht damit einen Kategorienfehler, für den sich die Verfechter des Methodenpapiers blind stellen oder tatsächlich blind sind.

2) Es ist ein Instrument der methodischen Verzerrung, das heißt ein Instrument, das sich herausnimmt, durch Überbewertung der Abweichungen von speziellen, ideal-typischen Normen gezielt Studien, die ansonsten unter international gültigen Kriterien akzeptiert werden, bereits auf der Ebene der Einzelstudien für ungültig zu erklären. Die Methodenpapier-Kriterien sind dabei teilweise wissenschaftlich unhaltbar, gehören aber zum „Glaubens-Kanon“ ihrer Verfechter hinzu: Man denke an die fehlende positive Korrelation zwischen Manualisierung und einem positiven Endergebnis und an die sogar negative Korrelation des Endergebnisses mit der dennoch geforderten „Manualtreue“, sowie an das Ideal der Monosymptomatik, das multimorbide Patienten und damit den größeren Teil der besonders therapiebedürftigen Bevölkerung ausschließt. 

3) Das Methodenpapier besteht darauf, nur randomized controlled trials (RTCs), Studien mit zufallszugeordneten Kontrollgruppen, als Wirksamkeitsbelege gelten zu lassen, obwohl dieser puristische Standpunkt in der internationalen Psychotherapieforschung immer infrage gestellt worden war. Den Gegenbeleg, nämlich dass die Hinzunahme der Studien mit parallelisierten Kontrollgruppen für Metaanalysen keinen signifikanten Unterschied einbringt, veröffentlichten Elliott und Greenberg in Lamberts „Bergin & Garfield´s Handbook for Psychotherapy Research and Behavior Change (Wiley, NewYork, 2013, Kap.13). 

4) Ferner führen Wampold et al. aus (Die Psychotherapie-Debatte, Hogrefe, 2018 / amerik. 1. Auflage 2015, Vorläufer-Publikation 2001), dass die Allgemeinen Wirkfaktoren eines Verfahrens überragend wichtiger sind als die spezifischen Faktoren, bzw. die Techniken eines Verfahrens, die in seiner Auflistung auf einen Effektstärken Beitrag von insgesamt nicht höher als ca. 0.35 ES, zumeist sehr viel niedriger, eingestuft werden. Die Allgemeinen Wirkfaktoren, zu denen die therapeutische Beziehung mit Empathie, Zusammenarbeit, Wertschätzung, Echtheit, kulturelle Adaptation und die Therapeutenpersönlichkeit gehören, machen den restlichen Betrag der Effektstärke aus, die bis zu 0.8 ES hoch ist. Aus dieser Sicht gerät der Wirksamkeitsunterschied zwischen den verschiedenen Verfahren in eine vernachlässigbare Größenordnung. Der heutigen Forschung zufolge bräuchte es den WBP nicht. Er behindert und unterdrückt Neuentwicklungen seit 20 Jahren. Er zementiert hierzulande die lobbybedingte Vorherrschaft der beiden Richtlinienverfahren. Das mag sein eigentlicher Auftrag seiner Urheber sein.

5) Was das Methodenpapier bewusst außer Acht lässt:
a) Mit Hilfe der inzwischen obligaten Metaanalysen kommt es ohnehin zu einer Glättung des Datenmaterials, sofern es in den Einzelarbeiten da oder dort einige Fehldaten gegeben haben sollte und zumal diese sowieso statistisch berücksichtigt worden sind.
b) Studien mit etwas kleineren Teilnehmerzahlen erfahren durch die Metaanalysentechnik automatisch eine Zusammenfassung. Insofern ist die rigorose Studien Vernichtung, die die Verfechter des Methodenpapiers hochhalten, wissenschaftlich nicht gerechtfertigt. Sie dient nicht der Wahrheitsfindung, sondern der Vernichtung der Konkurrenz.

6) Der Ausschluss von Psychotherapie Verfahren, z.B. der von den humanistischen Verfahren, die effektstärkenmäßig mit 0.93 ES (laut Lamberts „Handbook…“) gleichauf mit der Cognitive Behavioral Therapy (CBT) liegen – und gar für die Gestalttherapie, die die Ranking Spitze aller Verfahren mit 1.12 – 1.42 ES hält, mit Hilfe von Absprachen über ein technik- und formatbezogenes Messwerkzeug, ist wissenschaftlich überhaupt nicht haltbar. Das Festhalten des WBPs an dieser Messmethode sagt nichts über die Beurteilten aus, sondern über die Motivationslage der Beurteilenden. 

Zielvorstellungen: 

Die Entscheidungen des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie (WBP) der vergangenen 20 Jahre sollten von einer externen Stelle überprüft und im Sinne der neutralen „scientific community“ nachkorrigiert werden. Die Struktur (WBP u.a.) benötigt eine Überarbeitung durch neutrale Juristen, die den Auftrag am Patienten sehen und die nicht einer Verbandspolitik dienen wollen. 

Das BMG braucht eine interne Revision und eine öffentliche Stellungnahme dazu, wie es im Falle der Beibehaltung des Selbstverwaltungskonzeptes mit den Schäden des bisherigen Lobbyismus in ihren Reihen umgehen will und wie es in Zukunft auf Neutralität und einen demokratischen Geist achten möchte, der in den letzten 20 Jahren mit Füßen getreten worden ist. Das BMG sollte juristisches Know How im Sinne des Grundgesetzes einsetzen und sich nicht einseitig der juristischen Beratung der Lobbyisten anvertrauen. Ein BMG ohne Steuerung durch Lobbyisten ist in einem Rechtsstaat mehr als vorstellbar.

Lotte Hartmann-Kottek, Prof. Dr. med., Dipl. Psych. /Feb., 2021

 

Literatur: 

Grawe K, Donati R, Bernauer F (1994): Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur Profession. Hogrefe, Bern

Lambert, M (2013) Bergin & Garfieds´s Handbook for Psychotherapy Research and Behavior Change. Wiley, NewYork

Meyer A.E., Richter, R, Grawe, K. et al.(1991): Forschungsgutachten zur Frage eines Psychotherapeutengesetzes. Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, Eigendruck

Rudolf Gerd (1991) Die therapeutische Arbeitsbeziehung. Springer, Heidelberg

Strümpfel, Uwe (2006): Therapie der Gefühle. Forschungsbefunde zur Gestalttherapie. EHP, Bergisch-Gladbach

Tschuschke Volker, Heckrath Claudia, Tress, Wolfgang (1997): Zwischen Konfusion und Makulatur. Zum Wert der Berner Psychotherapie-Studie von Grawe, Donati und Bernauer. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen

Wampold Bruce E, Imel Zac E., Flückinger Christoph (2018): Die Psychotherapie-Debatte. Was Psychotherapie wirksam macht. Hogrefe, Bern